Neuromarketing: Sind wir unserem Gehirn hilflos ausgeliefert?
Jessica Henke, 08.10.2019
Beim Neuromarketing nutzt man Erkenntnisse aus der Hirnforschung und psychologische Elemente, um Werbung zu optimieren. Experten auf diesem Gebiet untersuchen mit unterschiedlichen Methoden, welche Prozesse im Gehirn beeinflussbar sind, wenn es um Kaufentscheidungen geht. Die daraus gewonnenen Einblicke sorgen dafür, dass Unternehmen ihr Marketing besonders effizient gestalten können.
Als die Geburtsstunde des Neuromarketings gilt der Kampf zwischen zwei Getränke-Giganten: Im Jahr 2002 fanden zwei Hirnforscher heraus, dass Coca-Cola und Pepsi jeweils unterschiedliche Hirnareale ihrer Kunden aktivieren. Im Gegensatz zu Pepsi war Coca-Cola nämlich in der Lage, sowohl den Hippocampus, der im Gehirn verantwortlich für die Erinnerungen ist, zu aktivieren, als auch den dorsolateralen präfrontalen Kortex, der Emotionen verarbeitet. Der Artikel der beiden Forscher schlug damals hohe Wellen. Vor allem Verbraucherschützer sahen die Gefahr, dass Konsumenten ab sofort den Werbebotschaften von Konzernen wehrlos ausgeliefert seien. Die Werbebranche wiederum freute sich über diese Ergebnisse, zeichnete sich doch damals schon ab, dass sich Kunden durch gezieltes Marketing beeinflussen lassen.
Was ist Neuromarketing?
Als Teildisziplin des Marketings greifen Werber beim Neuromarketing auf Ergebnisse aus der Hirnforschung und der Psychologie zurück, um Werbung zu optimieren. Wer in einem Online-Lexikon nach diesem Begriff sucht, findet verschiedene Definitionen: Während das eine Nachschlagewerk Neuromarketing als eine Methode ansieht, die apparative Verfahren einsetzt, bezieht ein anderes sämtliche Erkenntnisse aus der Forschung über die Abläufe im menschlichen Gehirn ein. Diese Vorgänge sind für ein erfolgreiches Neuromarketing essentiell. Grundlegende Fragen, die sich hierbei stellen, sind:
- Aus welchem Grund kauft ein Kunde?
- Welche Art von Käufern gibt es?
- Wie können Unternehmen das Wissen über ihre Kunden für ein gezielteres Marketing nutzen?
Inzwischen hat sich gezeigt, dass Käufer Entscheidungen nicht nur anhand von rationalen Kriterien treffen, sondern dass sie wesentlich von ihren Emotionen beeinflusst sind. Sollte es im limbischen System, also dem Sitz der Gefühle im Gehirn, Störungen geben, kann das dazu führen, dass der Käufer nicht mehr in der Lage ist, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Diese Erkenntnisse nutzen inzwischen viele Unternehmen, um ihre Werbung entsprechend zu optimieren. Aber auch Neurowissenschaftler setzen sich mit diesem Thema auseinander, indem sie unterschiedliche Verarbeitungsprozesse im menschlichen Gehirn untersuchen.
Wie wirkt Neuromarketing auf das Gehirn?
Teil der Untersuchungen im Bereich Neurowissenschaften sind neben dem Bewusstsein, das unbewusste Entscheidungsprozesse auslöst, auch multisensorische Verarbeitungsprozesse: Wie verarbeiten Menschen Gerüche oder Geräusche im Gehirn? Wenn diese Fragen geklärt sind, lassen sich die Erkenntnisse zum Beispiel nutzen, um die passende Musik im Supermarkt zu spielen oder über die Klimaanlage Düfte zu verbreiten, die ein Wohlbefinden beim Käufer auslösen. Eine Analyse emotional-kognitiver Verarbeitungsprozesse hingegen zeigt auf, wie Anzeigen oder TV-Spots im Gehirn aufgenommen und dort verarbeitet werden. Ein weiterer Teilbereich ist die Neurolinguistik, in der es darum geht, zu prüfen, wie Menschen Sprache verarbeiten. In der neurowissenschaftlichen Persönlichkeitsforschung, einer weiteren Neuromarketing-Disziplin, untersuchen Forscher, wie sich Menschen hinsichtlich ihrer Produkt- und Markenpräferenz unterscheiden. Wenn sie Kunden in verschiedene Persönlichkeitstypen unterteilen, können Unternehmen daraus bestimmte Zielgruppenstrategien für sich erarbeiten.
Wie funktioniert Neuromarketing?
Es gibt verschiedene Methoden, mit denen Unternehmen Neuromarketing nutzen können. Über die letzten Jahre konnten Experten die methodischen Ansätze im Neuromarketing stetig ausbauen. Im Online-Marketing hat sich beispielsweise das Eyetracking etabliert, mit dem Unternehmen – etwa den Online-Shop oder die Website – untersuchen können.
- Wo schaut der Nutzer als Erstes hin?
- Welchen Bereichen der Website schenkt er keinerlei Aufmerksamkeit?
Doch Neuromarketing geht noch viel weiter, denn inzwischen lässt sich herausfinden, was im Gehirn des Kunden passiert, wenn er eine Werbung anschaut oder beim Surfen auf ein Produkt klickt. Elektroenzephalografie (EEG), die man in der neurologischen Forschung einsetzt, erlaubt, die Aktivität des Gehirns zu messen. Dafür muss der Proband eine sogenannte EEG-Haube tragen. Alternativ ist es möglich, einen Magnetresonanztomographen für diese Untersuchung zu verwenden. Zusätzlich lässt sich während eines solchen Tests die Pulsfrequenz oder die Schweißdrüsenaktivität überwachen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass diese Untersuchungen unter Laborbedingungen stattfinden, die niemals die Wirklichkeit abbilden können. In der realen Welt werden Kaufentscheidungen nämlich durch zahlreiche äußere Umstände beeinflusst, etwa:
- die persönliche Erfahrung eines Kunden mit einem Produkt,
- auftretende Störfaktoren während eines Kaufs (Geräusche, Ablenkungen, Stress usw.) und
- Empfehlungen durch Familie, Freunde und Bekannte.
Wie können Unternehmen Neuromarketing einsetzen?
Es gibt inzwischen zahlreiche Möglichkeiten, von den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu profitieren und Werbebotschaften entsprechend anzupassen. Folgende Tipps lassen sich sogar ohne größere Testszenarien umsetzen:
- Emotionen wecken
Noch bevor das Großhirn davon weiß, entstehen Emotionen – denn sie werden im limbischen System verarbeitet. Es steuert Emotionen wie Angst, Liebe, Wut und Lust. Das limbische System ist verantwortlich dafür, dass wir neue Dinge lernen und Erinnerungen abspeichern. Eine erfolgreiche Marke löst daher bestenfalls starke Gefühle in diesem Gehirnareal, vor allem in der sogenannten Amygdala, aus. Sie verarbeitet Einflüsse, denen wir Menschen ausgesetzt sind, und setzt die Produktion entsprechender Hormone in Gang. Bei Angst beispielsweise Adrenalin, um schnell wegrennen zu können. Außerdem ist sie für den Wunsch nach Belohnung zuständig. Sobald unser Belohnungssystem aktiv wird, entsteht ein Verlangen. Wenn sich die Marketingabteilung dazu entscheidet, nur die Funktionen eines Produkts zu kommunizieren, löst das keinen Kaufanreiz aus, da Informationen über Produkt-Features nicht die Amygdala aktivieren. Es muss Marken gelingen, den potenziellen Käufer emotional anzusprechen – indem sie beispielsweise mithilfe von Content Marketing über die Social Media oder über die Website eine konsistente Marken-Story kreieren. Die begeisternde Geschichte einer Marke ist essentiell, um Kunden mit der Werbebotschaft zu erreichen.
- Kundenzufriedenheit kommunizieren
Menschen tun das, was andere auch tun. Wenn ein anderer Mensch gähnt, machen wir es ihm unbewusst häufig nach. Wir setzen in uns in ein vollbesetztes Restaurant, denn wenn es viele Gäste hat, spricht das für die Qualität des Lokals. Dieses Phänomen bezeichnet man als „Herding“. Es ist auf Spiegelneuronen in unserem Gehirn zurückzuführen. Verhaltensweisen übertragen sich beim Herding auf Mitglieder einer interagierenden Gruppe, dem „herd“. Je größer die Gruppe, desto stärker der Effekt. Besonders gut wirkt er, wenn es sich um angesehene Personen handelt, also beispielsweise eine bekannte Persönlichkeit, die für eine Marke wirbt. Es ist Fakt, dass Menschen gerne das kaufen, was auch andere bereits gekauft haben. Wenn Ihre Kunden also mit Ihrem Produkt zufrieden sind, kommunizieren Sie diese Zufriedenheit über Ihre Website, beispielsweise mithilfe von Testimonials.
- Bilder nutzen, um Blicke zu lenken
Unser Unterbewusstsein ist auf andere Gesichter fixiert. Wenn uns jemand anschaut, erwidern wir diesen Blick automatisch. Es ist also für die eigene Website äußerst hilfreich, Menschen zu zeigen, die direkt in die Kamera blicken. Eyetracking-Untersuchungen haben belegt, dass Nutzer Call-to-Actions, die in unmittelbarer Nähe eines solchen Bildes angebracht sind, verstärkt wahrnehmen. Dies könnten Sie bei der Gestaltung Ihrer Website berücksichtigen.
- Den Autopiloten ansprechen
Schätzungen zufolge entfallen etwa 95 Prozent der Kaufentscheidungen auf unser Unterbewusstsein. Trotzdem reagiert jeder Mensch auf einen Kaufimpuls anders. Das liegt an den unterschiedlichen Käufertypen, die es anzusprechen gilt:
Entscheidungskäufer: Sie suchen solange nach einem Produkt, bis sie genau das gefunden haben, was ihnen gefällt. Wenn dann noch das Bauchgefühl stimmt, schlagen sie direkt zu. Entscheidungskäufer adressiert man am besten, in dem man ihnen ein angenehmes Einkaufserlebnis bietet: Das bedeutet, ihnen die benötigten Informationen über die bevorzugten Kanäle zur Verfügung zu stellen und insbesondere Bilder für ein Produkt sprechen zu lassen, anstatt Zahlen, Daten und Fakten zu präsentieren. Mit einer gelungenen Customer Experience, also einer angenehmen Einkaufserfahrung, und einer begeisternden Customer Journey, vom ersten Kontakt bis hin zum Kaufabschluss, lassen sich Käufer dieses Typs gut überzeugen.
Planungskäufer: Derartige Käufe tätigen Kunden insbesondere im Hinblick auf Produkte, die sie seltener anschaffen, etwa Computer, Kühlschranke oder Fernseher. Die Käufer recherchieren intensiv, sammeln Informationen, vergleichen Preise, lesen Rezensionen etc. Bestenfalls stellen Sie die von ihnen benötigten Informationen möglichst so zusammen, dass Planungskäufer ihre Recherche schnell abschließen können.
Impulskäufer: Dieser Käufer entscheidet sich sehr spontan für den Kauf. Ihn reizen beispielsweise preislich attraktive Angebote. Zudem lässt er sich auch von Produkten überzeugen, die er spontan entdeckt hat und die ihm sehr gut gefallen.
Gewohnheitskäufer: Diese Käufergruppe agiert nach dem Autopilot-Prinzip: Größere Konzerne nutzen Kundenbindungsprogramme beispielsweise, um Kunden daran zu gewöhnen, immer wieder bei ihnen einzukaufen. Ein Beispiel ist hier „Prime“ von Amazon. Je stärker Sie Ihre Kunden an sich binden, desto eher entscheiden sie sich dafür, immer wieder bei Ihnen einzukaufen.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit Neuromarketing gemacht? Setzen Sie vielleicht sogar schon entsprechende Erkenntnisse in Ihrem Marketing um? Erzählen Sie uns gerne davon!